Nichts ist noch wichtiger als die eigenen Blutzuckerwerte in der Schwangerschaft. Zu mindestens fühlt es sich so an. Als ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt und die zweite Linie klar zu erkennen war, ging mein nächster Blick direkt auf meinen Blutzuckerwert. Von heut auf morgen zur Diabetesstreberin – ich hätte niemals gedacht, dass ich den Anforderungen einer Schwangerschaft gerecht werden könnte und doch geht’s. Irgendwie.
Ziel Blutzuckerwerte in der Schwangerschaft
- nüchtern 65mg/dl - 95mg/dl
- 1 Stunde nach dem Essen unter 140mg/dl
- 2 Stunden nach dem Essen unter 120mg/dl
- vor dem schlafen 90mg/dl - 120mg/dl
- nachts 2:00 bis 4:00 mehr als 65mg/dl
- durchschnittlicher Blutzuckerwert 90mg/dl - 110mg/dl
Und wie schafft man es solche (nahezu perfekten!) Blutzuckerwerte zu haben?
Ich konnte mir auch niemals vorstellen, eine so gute TIR zu haben wie jetzt. Ehrlich. Ich dokumentiere aktuell die besten Werte in meiner gesamten Diabeteslaufbahn und niemals habe ich mir so eine Leistung überhaupt zugetraut. Es ist der Wahnsinn! Jeder der gerade plant schwanger zu werden oder diesen Beitrag für die ferne Zukunft liest und sich nicht vorstellen kann, das zu schaffen – oh doch, ihr schafft das!
Es ist so, als würde man mit dem positiven Schwangerschaftstest zur kleinen Superheldin werden. Dieses Gefühl, nicht nur für sich selbst die Verantwortung zu tragen, sondern für ein kleines Wunder, was in euch heranwächst – allein die Tatsache, macht’s möglich. Ich zeige euch dafür mal die Blutzuckertagesverläufe der entscheidenden Tage (nach rechts klicken).
Ja, ich weiß. Die erste Kurve ist wirklich nicht schön. Doch leider ist es die Wahrheit. Ich war irgendwie in so einer Phase in der alles wichtiger war als mein Diabetes und dementsprechend sahen meine Blutzuckerwerte auch aus. Mein HbA1c lag zu diesem Zeitpunkt, wie ich euch in meinem ersten Beitrag schon erzählt habe, bei 8,1% – immerhin war’s auch nicht geplant, dass ich am nächsten Tag erfahren werde, dass ich schwanger bin. Doch von da an hat sich alles verändert. Durch die Gewissheit der Schwangerschaft entsteht eine riesige Motivation mit Superheldeneffekt.
Gute Blutzuckerwerte in der Schwangerschaft
Mit dieser Motivation muss man dann nur noch umsetzen, was man sowieso schon weiß – oder wenn die letzte Schulung nun schon ewig her ist, arbeitet man sich das ganze Wissen eben auf. Am besten gemeinsam. In euerer diabetologischen Praxis bekommt ihr nämlich sofort Unterstützung.
Basalrate
Ich habe mich sofort wieder mit meiner Basalrate beschäftigt. Dadurch, dass der Loop mir diesen Teil in gewisser Hinsicht abnimmt, lief die nicht mehr so rund, als ich den Loop ausgeschaltet habe. Ich habe sofort kleine Veränderungen vorgenommen und die Basalrate so gut es ging angepasst. Wichtig ist nur, dass ihr eure Basalrate festhaltet. Die wird es nämlich sein, welche ihr nach der Schwangerschaft braucht. Laut Leitlinie sinkt der Insulinbedarf unter der Geburt und anschließend ist er wie vorher. Vielleicht kommt das ja hin und die Basalrate kommt wieder zum Einsatz. Aus diesem Grund habe ich sie nicht nur digitalisiert abgespeichert, sondern auch ein Mal handschriftlich aufgeschrieben.
KE-Faktor
Auch meinen KE-Faktor musste ich etwas überarbeiten. Das lag daran, dass ich nie gerne gefrühstückt habe und dementsprechend auch keinen richtigen KE-Faktor für die Morgenstunden hatte. Mittlerweile klappt’s aber mit dem Frühstück, auch wenn’s nur eine Kleinigkeit ist und der KE-Faktor passt auch.
Spritz-Ess-Abstand (SEA) und Insulinwirkung
Ich weiß, wie gerne man das Wissen darum zur Seite legt, aber jetzt wird’s wichtig. Durch einen gut angepassten SEA vermeide ich die riesigen Spitzen nach dem Essen. Doch leider ist nicht jede Mahlzeit auch pauschal der selbe Spritz-Ess-Abstand. Hier hat es mir geholfen, mit zu schreiben und neue Routinen zu entwickeln. Insbesondere mein neu entstandenes Frühstück, was meist Müsli, Haferflocken, Joghurt und frisches Obst beinhaltet, war eine gute Möglichkeit zu tüfteln. Ich hab’s ausprobiert, bis es geklappt hat und wenn bald mein Insulinbedarf steigt, evaluiere ich. Wieder. Bis es klappt.
Helfende Fragen:
Wann beginnt die Insulinwirkung und wie lange wirkt mein Insulin insgesamt?
Was ist der gklykämische Index. Insbesondere bei meinen Lieblingsgerichten?
Mahlzeitengröße
Es ist natürlich empfehlenswert nicht mehr riesige Portionen auf ein Mal zu essen. Es ist keine festgeschriebene Regel, aber ich persönlich fahre sehr gut damit, mir eine obere Grenze von 50g Kohlenhydrate, also 5KE zu setzen. Das heißt nicht, dass ich mir was verbiete oder irgendwo auf etwas verzichte, sondern nur das ich es mir einteile.
Essen abwiegen
Immerhin ist es mein Beruf, dieses Wissen zu schulen und ich bin immer wieder fasziniert davon, wie sehr ich mich selbst verschätzt hätte. In der Schwangerschaft hingegen, ist es meiner Meinung nach, ein wichtiger Bestandteil. Ich studiere Verpackungen und wiege alles ab, was ich kann. Um so genauer ich nämlich um die Kohlenhydrate Bescheid weiß, um so besser wird die Insulinabgabe und wenn’s am Ende doch nicht gut lief, kann ich zu mindestens ausschließen, dass ich mich verschätzt habe und so bessere Entscheidungen für das nächste Mal treffen. Auf der anderen Seite bedeutet das aber nicht, dass wenn ich mein Essen jetzt gerade nicht wiegen kann, dass ich dann auslasse. Nein. Ich gebe nur mein Bestes wo ich kann.
Zwischenmahlzeiten
Zum letzten Punkt, der mir hilft meine Werte im Zielbereich zu halten, gehören geplante und auch ungeplante Zwischenmahlzeiten. Eine Banane oder ein Apfel zwischendurch lässt sich für mich sehr gut in den Alltag integrieren, ohne das mein Blutzuckerverlauf auffällig wird. Irgendwie muss man ja auch auf die allgemein empfohlene Nährstoffzufuhr in der Schwangerschaft kommen und das lässt sich sehr gut planen. Ungeplant hingegen meine ich, wenn ich jetzt bei 80mg/dl einen sinkenden Pfeil sehe, greife ich lieber zu Obst, anstatt bis 60mg/dl zu warten um dann schnelle (meist ungesunde) Kohlenhydrate zu mir zu nehmen.
Ich werde diese Liste gerne noch erweitern, wenn ich noch wo anders Vorteile entdecke. Doch für den Anfang waren das erst Mal alle Punkte, die mir bislang sehr geholfen haben. Ergänzt mich gerne und hinterlasst einen Kommentar – um so mehr Tipps & Erfahrungen wir sammeln, um so mehr können wir davon profitieren ♥︎
Viele Hypos im ersten Trimester
Im 1. Drittel der Schwangerschaft erhöht sich das Risiko für mütterliche Hypoglykämien – nachteilige Auswirkungen auf die Embryogenese sind nicht bekannt, es fehlen aber Langzeitnach- beobachtungen der Kinder bezüglich ihrer psychomotorischen Entwicklung. Der Insulinbedarf steigt im 2. Schwangerschaftsdrit- tel beginnend kontinuierlich an (+ 50–100 % bis zur Geburt) und kann besonders bei adipösen Schwangeren mit Typ-2-Diabetes extrem hoch sein, gleichzeitig sinkt das Hypoglykämierisiko. Zum Zeitpunkt der Geburt fällt der Insulinbedarf relativ schnell ab. Mit Beginn der Geburt reduziert sich der basale Insulinbedarf um ca. 50 % (z. B. unter CSII). Peripartal wird nur kurzwirksames Insulin, je nach lokalen Gepflogenheiten auch intravenös, verabreicht. Post- partal wird die Insulinsubstitution innerhalb weniger Tage indivi- duell neu angepasst; als Orientierung dient der präkonzeptionelle Bedarf.
Zitat: DDG Leitlinie, Diabetes und Schwangerschaft
Dexcom G6, Zielbereich 65mg/dl – 140mg/dl
Okay, dass mit den Hypos kann ich jetzt nicht bestätigen, aber dafür haben sich meine Symptome und meine Wahrnehmung sehr verändert. Ich habe sonst niedrige Werte sehr schnell bemerkt. Ich habe mich schwach und unwohl gefühlt und erst wenn’s so richtig niedrig wurde, kamen die Symptome wie Kaltschweißigkeit, zittern, usw.
Jetzt merke ich Unterzuckerungen jedoch erst bei 50mg/dl – manchmal noch tiefer und mein erstes, manchmal sogar nur einziges Symptom ist eine kribbelige Zunge und tauber Kiefer. In dem Zustand ist Traubenzucker kauen für mich grauenvoll geworden und das obwohl ich sonst immer gerne Traubenzucker genommen habe. Jetzt müssen Trinkpäckchen herhalten. Und auch wenn’s für viele von euch jetzt banal klingt, dass ist echt eine der härtesten Herausforderungen für mich. Mir schmeckt einfach nichts mehr bei einer Hypo. Gut, dass vermindert die Gefahr, dass ich undiszipliniert den Kühlschrank plündere, aber trotzdem macht’s mir das echt schwer.
Im Allgemeinen habe ich sowieso irgendwie das Gefühl, dass ich immer etwas später dran bin. Es heißt, zu Beginn der Schwangerschaft kämpft man mit Übelkeit. Mir war nur wenige Tage zum Ende der 11. SSW schlecht und von den vielen Hypos im ersten Trimester, kann ich auch nicht berichten, sondern denke, dass die Phase jetzt gerade erst los geht. Aber gut, bei wem läuft schon alles nach Lehrbuch? Ich bin einfach aufmerksam und höre darauf was mein Körper mir sagt oder meine Werte mir zeigen um mich anzupassen.
HbA1c Werte in der Schwangerschaft
Laut Leitlinie der deutschen Diabetesgesellschaft soll eine normale Stoffwechsellage erzielt werden mit einem HbA1c unter 7%, am besten niedriger als 6,5%. Bislang war ich es jedoch gewohnt, im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft eher von einer 5 vor der Komma zu hören. Irgendwie ist das ja auch ein subjektives Ziel. So niedrig wie möglich, so gesund wie möglich – aber was wir auch nicht vergessen dürfen: am besten so stabil wie möglich.
Ich möchte am liebsten sagen, dass ich selbst zufrieden bin mit meinem HbA1c, aber auf der anderen Seite muss ich auch das Gesamtbild betrachten. Der Langzeitwert spiegelt die letzten drei Monate wider – sodass auch wenn ich im Dezember schon bei einem Wert von 6,3% lag, da immernoch 4 ganz schlechte Wochen von vor der Schwangerschaft mit drin waren. Ich freue mich also auf den nächsten HbA1c, den ich am 19.01.2021 mit euch teilen kann. Der wird dann erstmalig nur die Schwangerschaft widerspiegeln.
Meine HbA1C Werte im ersten Trimester
8,1% am 20. Oktober 2020
7,1% am 23. November 2020
6,3% am 22. Dezember 2020
Ich bin also zuversichtlich, was meinen nächsten Termin an geht. Ich meine, es bringt auch nichts, sich verrückt zu machen. Immerhin wissen wir alle, dass auch Stress negative Auswirkungen mit sich zieht um demnach möchte ich irgendwie versuchen so locker wie möglich daran zu gehen. Schließlich kann ich auch nicht mehr machen, als jeden Tag mein Bestes geben.
Und genau das möchte ich euch mit auf den Weg geben: Etwas mehr Gelassenheit.
Damit meine ich nicht, dass man Werte ignorieren sollte, nein. Ich meine, dass ich auch nach dem Essen manchmal eine blöde Spitze habe oder hier und da einen Wert nicht korrigiert bekomme. Es bringt aber nichts sich dafür stundenlang Vorwürfe zu machen, denn manchmal kann man einfach nichts dazu – aber man kann daraus lernen.
Genau so ärgere ich mich über den so schlechten HbA1c, den ich zu Anfang hatte, aber eine gute Freundin meinte zu mir: „Sassi, mach dich nicht verrückt. Das war alles vor der Schwangerschaft und das ist jetzt egal“. Und sie hat damit so recht ♥︎
Stabile Werte sind wichtiger, als die 5 vor dem Komma
Die Stabilität der Werte konstant beizubehalten in der Schwangerschaft ist für mich mein erstes Ziel. Klar, sieht die 5 vor dem Komma schön aus, aber wissenschaftlich belegt ist auch, dass die 5 nicht entscheidend ist. Es gibt keinen Nachweis darüber, dass sich die Risikofaktoren erhöhen, wenn der Hba1c um die 6% liegt während der gesamten Schwangerschaft. Signifikante Unterschiede gibt es erst bei einem höheren HbA1c über 6,6%.
Risiko für perinatale Mortalität und Kindstod im 1. Lebensjahr
Das Risiko der perinatalen Mortalität bei Feten bzw. Neugebore- nen ohne Fehlbildungen steigt oberhalb eines perikonzeptionellen HbA1c von 6,6 % signifikant an. Dies gilt auch für den Kindstod bis zum Abschluss des ersten Lebensjahres.
Zitat: DDG Leitlinie, Diabetes und Schwangerschaft
Letztendlich werde ich natürlich meinen HbA1c Verlauf weiterhin mit euch teilen, aber mir persönlich ist es egal, ob da nachher 5,9% oder 6,1%. Wichtiger ist mir die Stabilität, also meine Time in Range und auch mein eigenes Wohlbefinden. Indem Zusammenhang möchte ich noch zwei schöne Beispiele mit euch teilen.
Das erste zum Wohlbefinden
Kathi, die gerade ihre dritte Tochter bekommen hat und ihren Weg auf Instagram und YouTube mit euch teilt, sagte zu mir ganz am Anfang, dass auch wenn der nächtliche Zielbereich gerade so über 65mg/dl liegt, hier das überhaupt nicht bekommt. Zwischen 80mg/dl – 100mg/dl ist auch vollkommen okay – und das finde ich auch!
Das zweite Beispiel zum HbA1c
von Anka, die ihren Schwangerschaftsverlauf auf Instagram festhält, zeigt nochmal das Stabilität wichtiger ist. Sie hatte einen Langzeitwert von 5,3% der viele Hypos beinhaltete. Jetzt ist sie glücklich über des Anstieges auf 5,7% – ohne viele Unterzuckerungen.
Ihr merkt, was ich euch sagen will 😉 Zum Abschluss gebe ich euch noch eine kleine Übersicht mit und freu‘ mich von euch zu lesen!
Übersicht der Veränderungen im ersten Trimester
- Ich bemerke Unterzuckerungen viel später als sonst und meine Hypo-Symptome habe sich grundsätzlich verändert.
- Traubenzucker geht gar nicht mehr!
- Ich messe zwischen 4-8x täglich blutig und dokumentiere die Werte in der mySugr App.
- Meinen Dexcom trage ich mittlerweile nicht mehr im Brustgewebe, weil die Werte zu ungenau geworden sind.
- Ich hatte zum Glück nur wenige Tage mit starker Übelkeit zu kämpfen und das auch erst nach der 11. Schwangerschaftswoche.
- Seitdem ich von der Schwangerschaft weiß, ist mein Loop aus.