DBW2018: Bitteschön mein Schatz!

von Kathrin Schanz

Abgabe-Tag! Wem würdest du einen Tag lang deinen Diabetes geben?

Ich bin Kathi, 27 Jahre alt und fülle eigentlich meinen YouTube Channel Diabeteswelt mit Inhalten aus meinem Diabetesleben. Für die #DBW2018 möchte ich jedoch hier meiner Leidenschaft zum Schreiben nachkommen und meine Erfahrungen veröffentlichen. Saskia und ich haben uns wegen dem Diabetes kennengelernt. Mittlerweile aber verbindet uns eine so tolle Freundschaft, dass ich mich hier auf ihrem Blog wie zu Hause fühlen darf. Deswegen nutze ich das heutige Tagesthema aus, um euch von meiner Geschichte zu erzählen. Ich habe unendlich lange darüber nachgedacht, ob ich das wirklich alles teilen möchte und bin letztendlich zu dem Entschluss gekommen, dass ich’s erzählen will, denn nur so kann ich zum austauschen anregen und anderen Menschen im Umgang mit ihrem Diabetes weiterhelfen – eben das, was mir am Herzen liegt.

Bitteschön mein Schatz!

Ich würde ganz klar meinem Freund einen Tag lang meinen Diabetes geben. Ich würde mir wünschen, dass er all die Verantwortung tragen muss, die ich trage. Er müsste sich mit all den Herausforderungen, die der Diabetes einem stellt, auseinandersetzen. Und er könnte sich einmal in meine Lage versetzen, als wir die vielen Diskussionen geführt haben und mein Standpunkt nachvollziehen.

Aber, natürlich nur für einen Tag

Ich liebe meinen Schatz über alles und niemals würde ich ihm irgendwas Schlechtes gönnen. Der „böse Gedanke“, ihm aber einen Tag lang meine Aufgaben aufzuladen, hängt mit unserer Geschichte zusammen. Vielleicht kennt von euch jemand diese Situation, vielleicht läuft es bei euch ganz anders. Aber hinter uns und unserer Beziehung liegt eine ziemlich schwere Zeit.

Wenn Diabetes die Beziehung belastet

Kennt ihr die Erzählungen, die mit „Weißt du was meiner Freundin passiert ist…“ beginnen? Vor einiger Zeit hätte ich wahrscheinlich noch genauso darüber gesprochen. Aber das wäre nicht ehrlich gewesen und somit hätte es nicht zu Veränderungen oder einem Reifeprozess geführt.

Mein Freund und ich sind seit über einem Jahr zusammen. Ich bin kein Mensch, der ein Geheimnis aus meinem Diabetes macht und somit ging ich von Anfang an offen damit um. Dann passierte es. Es kam zu den ersten, mir unerklärlichen hohen Werten. Wie wir alle wissen, sind Blutzuckerschwankungen von vielen Faktoren abhängig. Nicht sonderlich selten und oft fällt einem keine kausale Ursache ein – oder man weiß woran es liegt, will und kann zeitweise aber nichts daran ändern.

Ich sagte zu ihm, dass ich seit Tagen hohe Werte habe und sie einfach nicht zu regulieren sind. Daraufhin kam seine Antwort sehr überraschend für mich. „Naja, das kann ja gar nicht sein! Diabetes ist doch berechenbar. Man hat seine Faktoren, seine Pumpe, sogar ein CGM System. Also kann man immer perfekt eingestellt sein. Ist doch sicherlich nicht so schwer“. Ich staunte und wusste im ersten Moment gar nicht was ich sagen sollte außer: „Schatz, weißt du eigentlich was alles den Blutzucker beeinflusst? Das fängt bei offensichtlichen Dingen wie Essen oder Bewegung an und endet bei unsichtbaren, nicht vorhersehbaren Ereignissen wie Stress, hormonelle Veränderungen oder Erkrankungen.“ Diese Unterhaltung stoß Diskussionen an, die ein halbes Jahr andauerten und in dieser Zeit flossen viele Tränen.

Fehlendes Verständnis

Ich bin keine perfekte Diabetikerin und auch in Phasen von hohen Werten esse ich mal Unsinniges. Und wenn ich in einer Unterzuckerung keine Lust auf Traubenzucker habe und gerade kein Saft zu Hause ist, esse ich auch hin und wieder Karamellnüsse, Eis oder andere Süßigkeiten, welche den Blutzucker nicht so schnell ansteigen lassen wie schnellwirksame Kohlenhydrate. Natürlich weiß ich, dass das nicht „korrekt“ ist – aber ich bin auch nur ein Mensch und besonders in Hypos bin ich sehr schwach was Süßes angeht. Das mein Freund kein Verständnis für meine Unvernunft hatte, damit konnte ich leben. Das er jedoch der festen Überzeugung war, man könne Typ 1 Diabetes 24/7 perfekt einstellen, damit bin ich einfach nicht zurechtgekommen.

Auseinanderreißende Konsequenz

Es gab tägliche Diabetes Grundsatz-Diskussionen, die uns beide zur Weißglut trieben. Irgendwann sprach ich nicht mehr über meine Werte und fragte in Unterzuckerungen nicht mehr um Hilfe. Ich löschte sogar die Einstellung, dass er in der Dexcom Follower App meine Werte sehen konnte und mein Diabetes war von da an ausschließlich meine Angelegenheit.

In meiner Schwangerschaft kam die Wende

Er begann Verständnis zu zeigen und er sah selber, dass der Blutzucker augenscheinlich auch von Hormonen stark beeinflusst werden kann (gerade in der Schwangerschaft passiert das ziemlich häufig). Schließlich ging er auf mich zu und ich auf ihn. Wir sprachen ruhig und in geeigneten Momenten über Diabetes. Nicht nur im allgemeinen, sondern auch im speziellen über meinen Diabetes, denn jeder Diabetes ist anders und genau das ist der Punkt. Ich musste mir keine Vorwürfe und Kommentare in schwierigen Diabetes-Momenten anhören, sondern bekam auf ein Mal Unterstützung, wenn ich sie benötigte. Endlich kann ich ihn wieder mehr in Diabetes Themen integrieren und das tut sehr gut. Es ist so wichtig, dass man in seiner Familie Unterstützung erfährt und sehr wertvoll eine Umgebung zu haben, in der man gerne über seinen Diabetes spricht und sich damit wohl fühlt. Ich bin überaus froh, dass sich unsere Geschichte zum Guten gewendet hat. Heutzutage setzt mein Freund mir Katheter und Sensoren, überlegt mit mir zusammen, wie viele Einheiten ich für die Mahlzeiten benötige und was man alles sonst noch einplanen muss. Und auch bei nächtlichen Unterzuckerungen steht er auf, um mir Hypohelfer zu besorgen.

Was uns genau geholfen hat?

Ich glaube, dass der Abstand im Bezug auf den Diabetes uns gut tat. Die ständigen Diskussionen hatten sowieso immer das selbe Ende und die Auszeit davon tat nicht nur mir, sondern auch insgesamt der Beziehung ziemlich gut. Letztendlich war es aber der Beweis, den ich ihm innerhalb meiner Schwangerschaft geben konnte, dass Diabetes eben nicht immer berechenbar ist. Darauf aufbauend konnten wir erst wieder zusammenfinden und viele, ehrliche Gespräche waren dafür die Grundbasis. Heute bin ich also sehr glücklich, dass sich alles noch so gewendet hat, woran ich anfangs nicht glauben konnte.

Wie ist es bei euch?

Kennt ihr diese oder ähnliche Situationen? Hat euer Partner Verständnis oder bekommt ihr ebenfalls den ein oder anderen fiesen Spruch zu hören?

© Fotos von Erik Ullrich

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1 Kommentar

Over 9k 30. Juli 2018 - 23:59

Das einzige was ich gefragt werde na wie hoch war dein Zucker wider. Perfekt zu 100% gibs es nicht bei mir schonmal gar nicht ich habe schlicht keine Zeit um mich intensiv um diesen debuff zu kümmern.

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